In Erinnerung an Univ. Prof. Dr-Ing. habil Dr.-Ing. E.h. Konrad Zilch
Unerwartet verstarb Konrad Zilch am 6. April 2023 im Alter von 78 Jahren. Bis zuletzt konnten Kollegen, Fachleute und Freunde von seinem messerscharfen analytischen Verstand und Engagement profitieren. Er arbeitete selbst im Ruhestand noch in mehreren Ausschüssen und Normungsgremien mit und begleitete weiterhin verschiedene Forschungsvorhaben. Die Freude an den beruflichen Aufgaben und Herausforderungen hat er nie verloren und war immer ein sehr wichtiger Teil seines Lebens. Den Faden zur Technischen Universität München ließ er nie abreißen und begleitete nach seinem Ausscheiden im Jahre 2009 weiterhin die eine oder andere Dissertation und weitere Fachveröffentlichungen mit viel Herzblut. Im Ingenieurbüro stand er für vertiefte fachliche Fragen jederzeit gerne zur Verfügung. Er trug durch sein unendlich tiefgreifendes Fachwissen, insbesondere wenn es um Hintergründe der Normen und Zulassungen ging, zu wichtigen Lösungen bei den Ingenieuraufgaben bei und war ein allseits geschätzter Ansprechpartner.
Konrad Zilch wurde 1944 in Friedewald in Hessen geboren. 1964 nahm er das Studium des Bauingenieurwesens an der damaligen Technischen Hochschule Darmstadt auf und schloss dort 1969 mit Bestnoten und dem Diplom ab. Anschließend war er bis 1977 am Lehrstuhl für Massivbau in Darmstadt als wissenschaftlicher Mitarbeiter zunächst für Professor Hubert Beck und später für Professor Gert König tätig. Die beiden Professoren erkannten schnell die besondere analytische Fähigkeit von Konrad Zilch und betrauten ihn, neben den Aufgaben am Lehrstuhl, mit anspruchsvollen Ingenieuraufgaben aus der Praxis. Prägend in dieser Zeitperiode waren für den jungen Ausnahmewissenschaftler, neben den Aufgaben an der TH Darmstadt, seine Arbeits- und Forschungsaufenthalte in den USA und Kanada. Darüber berichtete er jeweils gerne in begeisternden Erzählungen. In dieser für ihn wichtigen Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter entstanden beachtete Arbeiten und Veröffentlichungen zu Einwirkungen auf Bauwerke sowie sicherheitstheoretischen Fragestellungen. In seiner Dissertation setzte er sich mit der Berechnung stabilitätsgefährdeter ebener regelmäßiger Windrahmen auseinander und wurde 1976 an der TH Darmstadt zum Dr.-Ing. promoviert.
Neben dem wissenschaftlichen Arbeiten war Konrad Zilch die Planung und Umsetzung anspruchsvoller Ingenieuraufgaben wichtig. Im Jahr 1979 nahm er eine Anstellung bei STRABAG BAU AG in Köln im technischen Büro an. Schon nach kurzer Zeit wurde er mit interessanten Aufgaben betraut und übernahm zunehmend Verantwortung. Neben den Aufgaben im technischen Büro in der Planung hatte er die Gelegenheit, als Planungskoordinator auf der Baustelle und mit rasch steigender Verantwortung als Projekt-, Bau- und Abteilungsleiter anspruchsvolle Projekte wie zum Beispiel die Hochbrücke Brunsbüttel und die Mainbrücke Veitshöchheim zu begleiten. Die Zeit auf der Baustelle in Brunsbüttel prägten den analysierenden Ingenieur umfassend. Dort erhielt er einen vertieften Einblick nicht nur in technische Fragestellungen und organisatorische Aufgaben, sondern auch in die ökonomischen Belange einer Großbaustelle. Gerne referenzierte er später ‒ im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit im Ingenieurbüro ‒ auf seinen Erfahrungsschatz aus dieser Zeit und brachte dadurch wichtige Aspekte ein.
Früh fokussierte er sich auf sein Ziel, als Hochschullehrer tätig zu werden. So hielt er konsequent, während seiner praktischen Tätigkeit in der Wirtschaft, als Lehrbeauftragter den Kontakt zur Technischen Hochschule Darmstadt und habilitierte 1982. Nur sechs Jahre später ‒ 1988 ‒ erhielt er in dieser Konsequenz den Ruf an die RWTH Aachen auf den Lehrstuhl für Baustatik. Der junge Professor konnte die Studierenden mit seinen anschaulichen Vorlesungen begeistern und erhielt hierfür eine Auszeichnung für seine hervorragende Lehre.
Bereits fünf Jahre später ‒ 1993 ‒ folgte er dem Ruf an die Technische Universität München als Ordinarius für Massivbau mit dem zugehörigen Laboratorium für den konstruktiven Ingenieurbau (LKI) und als Mitglied der kollegialen Leitung des Materialprüfungsamts für das Bauwesen (MPA BAU). Konrad Zilch gelang es, neben der Bearbeitung der theoretischen Fragestellungen auch die experimentelle Forschung zu intensivieren, und er verknüpfte vorbildlich die praktische Erfahrung mit der theoretischen Basis. Über 300 Veröffentlichungen und viele anerkannte Konferenzbeiträge entstanden in der erfolgreichen Lehrstuhlzeit bis 2009. Mehrere Dissertationen von insgesamt über 50 Mitarbeitern und weitere wissenschaftliche Schriften tragen seine Handschrift durch sein Wirken.
Auszugsweise entstanden unterschiedliche Beiträge zu folgenden Themen: Windeinwirkungen, seismische Beanspruchung von Mauerwerk, nichtlineare Berechnung von Stahlbeton- und Spannbetonbauteilen, Sicherheitskonzepte, Nachrechnung und Verstärkung von Bauteilen, Widerstand gegen Ermüdung von Beton und Bewehrung, bemessungsrelevante Eigenschaften von Beton mit rezykliertem Zuschlag, hochfestem Beton und ultrahochfestem Beton, verbundlose interne und externe Vorspannung, Querkraft- und Durchstanztragfähigkeit. Diese Beiträge erfolgten meist mit einem Blick für die praktische Anwendung und Nutzen für die Forschungsgeber, öffentliche Auftraggeber und Wirtschaft. So war es ihm ein besonderes Anliegen, die Anwendung technischer Weiterentwicklungen zu erproben, und er initiierte in vertiefter Zusammenarbeit mit den öffentlichen Baulastträgern verschiedene Pilotprojekte im Bereich des Brückenbaus.
Konrad Zilch zeichnete sich durch seine umfassende Kompetenz in Verbindung von Wissenschaft und Praxis aus und galt deshalb bei einer Vielzahl von nationalen und internationalen Gremien als wichtiger Ansprechpartner. So arbeitete er im Rahmen seiner Gremientätigkeit beim DAfStb und fib, DIN und CEN sowie zahlreichen Sachverständigenausschüssen beim DIBt und anderen Behörden auf Bundes- und Landesebene mit. Dabei zeichnete er sich durch sein naturwissenschaftliches Fundament, seine Praxiserfahrung, die notwendige Beharrlichkeit sowie sein strategisches und durch Intelligenz geprägtes Durchsetzungsvermögen aus. Durch seine Art und sein Wirken schaffte er die grundlegende Umstellung und die Einführung des Eurocodes der Stahl- und Spannbetonreihe mit nationaler Prägung – die DIN 1045-1 – und dies mit der für ihn typischen handwerklichen Sorgfalt. Fundierte und anwendungsorientierte Veröffentlichungen halfen den Praktikern bei der Umstellung und Anwendung der neuen Normengeneration. Seine Werke bilden für Studierende und Fachleute wichtige Grundlagenbücher. Sein gemeinsam mit Gerhard Zehetmaier verfasstes und beachtliches Werk „Bemessung im konstruktiven Betonbau“ sowie sein mit Frank Fingerloos und Josef Hegger herausgegebener Kommentar „Eurocode 2 für Deutschland“ sind hierbei im Besonderen zu nennen. Bemerkenswert waren zudem seine unzähligen Betonkalenderaufsätze sowie seine über viele Jahre dauernde Mitwirkung als Herausgeber der Fachzeitschrift „Bauingenieur“.
Sein Wirken spiegelt sich auch durch die erhaltenen Auszeichnungen wider. So wurde ihm 2005 in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen der Ehrendoktor der TU Darmstadt verliehen. 2006 wurde er mit der Ehrenplakette des Vereins Deutscher Ingenieure VDI und schließlich 2009 mit der Emil- Mörsch-Denkmünze des DBV ausgezeichnet.
Auch wenn der Hauptfokus seines Wirkens der Wissenschaft, der Lehre und Normungsgremien galt, war es ihm immer ein persönliches Anliegen, als planender und prüfender Ingenieur den Blick für die Praxis nicht zu verlieren. So gründete er gemeinsam mit dem weiteren Namensgeber 1997 die Partnergesellschaft Zilch + Müller Ingenieure und legte so den Grundstein für den nächsten Schritt im Jahr 2001 zur Umfirmierung in eine unabhängige Planungsgesellschaft und Gewinnung eines weiteren Partners und Gesellschafters. Mit der Zeit und mit stetigem Wachstum des Planungsbüros kamen weitere Leistungsträger und Partner hinzu, sodass bis heute im Rahmen der ZM-I Gruppe an zahlreichen Standorten mit über 120 Mitarbeitern das gesamte Leistungsspektrum der Beratung, Tragwerksplanung, baustatischen Prüfung, Bauwerksdiagnostik, Brandschutz und Begutachtung im Bereich des konstruktiven Ingenieurbaus und Hochbaus werkstoffübergreifend abgedeckt wird.
Bis ins Alter hatte er Spaß daran, auch mit jüngeren Mitarbeitern zu diskutieren und die Fragen ganzheitlich zu betrachten. Seine kurzen Konzentrationsphasen mit geschlossenen Augen ‒ einem Kurzschlaf ähnlich ‒ waren in Prüf- und Fachgesprächen „gefürchtet“, darauf folgte immer eine anspruchsvolle und zutreffende Frage. Neben den fachlichen Fragen nahm er später, als sich die Planungsgesellschaft weiterentwickelt hatte, die Aufgabe als Vorsitzender des Beirats äußerst ernst. Er bohrte auch gerne kritisch nach und ließ sich die Ideen der Mitgesellschafter detailgenau erläutern. Wichtig für die Weiterentwicklung und Fortsetzung seines unternehmerischen Schaffens war das große Vertrauen, das er den Partnern und Mitgesellschaftern entgegenbrachte und das nach und nach auch jüngere Partner in die Gesellschafterrolle hineinwachsen ließ.
Sein Lebensmittelpunkt und sein Rückzugsort bildeten stets die Familie. Bei seiner Frau Helga und seinen Töchtern fand er den erforderlichen Rückhalt und die Kraft für sein erfolgreiches Berufsleben. Von der Familie wurde er auf seinem Lebensweg sehr unterstützt. So begleitete seine Frau aktiv die beruflich bedingten privaten Veränderungen und war eine gern gesehene Begleitung an der Seite von Konrad auf vielen Geschäftsreisen, Kongressen und Veranstaltungen. Konrad Zilch wird uns allen fehlen, sein wissenschaftliches und unternehmerisches Schaffen wird unvergessen bleiben. Seiner Familie und den nächsten Angehörigen gilt unser tiefes Mitgefühl.
Text: André Müller, München, erschienen in der Zeitschrift Beton- und Stahlbetonbau Ausgabe 6 (2023)